Emotionale Tage

Veröffentlicht am 22. April 2024 um 20:39

Zum letzten Beitrag möchte ich noch etwas hinzufügen. Es geht um die wirklich krasse Fahrt zur Grenze in Eswatini. Während der Fahrt war es mir wirklich nicht wohl, und ich wusste zeitweise wirklich nicht mehr, was ich tun sollte. Was wäre gewesen, wenn wir stecken geblieben wären (was ein paar Mal im Ansatz der Fall war…) und niemand gekommen wäre. Was dann?

Am Schluss ist einmal mehr alles gut gegangen – wie immer eigentlich. Aber was ist gut? Wir haben unser Ziel, pünktlich bei Karin und John anzukommen, nicht geschafft, das Auto ramponiert, in einer schäbigen Unterkunft übernachtet und ganz viele Nerven gebraucht. Aber es sind genau diese Erlebnisse, die bleiben. Wenn etwas weh tut, ist es echt. Wenn ich an die belanglosen Urlaube von früher denke, die ich in irgendeinem x-beliebigen all-inclusive Hotel verbracht habe – an was davon kann ich mich noch erinnern?

Wenn wir jetzt jeweils die grossen Touri-Busse sehen, die einen wohl durchgetakteten Urlaubsplan abspulen, freuen wir uns immer über unsere selfmade Chaosplanung. Mein Misstritt in die rostige Schraube in Hanoi, das Versenken des Motorrads in den Bergen von Sapa, der unglaubliche Sonnenbrand auf dem Weg nach Vang Vieng (Laos) oder nicht zu vergessen mein Töffli-Unfall auf Lembongan am Tag vor der Hochzeit – alles war im Moment ziemlich scheisse, hinterliess teilweise sogar bleibende Narben (gell, Sacha 😊!). Aber alles sind Geschichten, die wir mittlerweile mit einem Schmunzeln erzählen können. Es kommt nicht darauf an, das Leben mit Tagen zu füllen, sondern die Tage mit Leben. Noch nie war uns das so intensiv bewusst und wird so gelebt wie gerade jetzt.

Jetzt ging es in den Kruger! Wir haben hier in Südafrika mittlerweile schon viele Nationalparks gesehen. Auch waren unsere Erwartungen an den Kruger gar nicht so hoch, da wir nach Tansania irgendwie die Vorstellung hatten, dass es sich um einen besseren Zoo a la Aquila handeln würde. Wir wurden extrem positiv überrascht. Die Fläche ist mit 50% der Schweiz ja schon beeindruckend. Da zurzeit Übergangssaison herrscht, hatte es auch wirklich wenige Fahrzeuge im Park. Wir sind teilweise eine Stunde gefahren ohne ein anderes Auto zu sehen. In den ersten zwei Tagen waren wir in einer tollen Lodge, wo wir mehrheitlich selber gefahren sind. Bis auf den Leoparden haben wir die restlichen Big 4 problemlos gefunden. Die nächsten zwei Nächte hatten wir im Manyeleti Game Reserve gebucht. Das Khoka Moya ist ein privat geführtes Camp und grenzt an den Kruger an. Wir bekamen einen grandiosen Guide und fuhren mit diesem jeweils am Morgen (los ging es um 06:00!!) und am Nachmittag für jeweils drei Stunden durch das Reserve. Kurz zusammengefasst: Wir sind begeistert! Wir sahen nochmals die kompletten Big 5 und noch vieles mehr. Dazu gab es noch massenhaft extrem spannende Informationen. Christina hätte problemlos noch zwei Wochen im Kruger verbringen können, aber für Tim war es dann nach vier Tagen doch genug.

Also begaben wir uns auf die Panorama Route und erlebten nach den tierischen Höhepunkten nun fantastische Landschaften. Wir besuchten den beeindruckenden Blyde River Canyon (der 3.-grösste Canyon der Welt), sahen Wasserfälle, machten Hikes, ritten hoch zu Ross den Canyon entlang und hatten einfach eine gute Zeit.

Anschliessend entschlossen wir uns weiter nach Jo’burg zu fahren. Wir diskutierten lange, ob wir Soweto besuchen wollten (das grösste Township im Land) und entschlossen uns schlussendlich dafür. Zum Glück kann ich nur sagen. Christina organisierte per Email ein Zimmer im Lebos Soweto Backpackers. Ein ausserordentlicher Glückstreffer! Beim Hineinfahren nach Soweto war uns beiden mulmig zumute. Beide hatten wir viele schlimme Geschichten über die extreme Kriminalität gehört. Wir schafften es für einmal problemlos in die Unterkunft. Das Hostel hatte einen unheimlich coolen Reaggaevibe und wir fühlten uns umgehend pudelwohl. Hier arbeiteten für einmal nur Schwarze (auch das Management). Uns wurde die Philosophie dieses coolen Spots erklärt. Alle Mitarbeiter stammen aus Soweto, und das macht das Ganze absolut authentisch. Gleich bei unserer Ankunft fragte mich ein Guide, ob ich Fussball mögen würde. Die Antwort ist ja klar… Also erklärte er sogleich, wir sollen doch mit ihm und seinem Freund zusammen ans Spiel «seiner» Orlando Pirates (das Hometeam aus Soweto) kommen. Wir dachten so «Ja, wäre cool – wann ist das denn?». Er meinte, in zwei Stunden geht das Spiel los 😊! Wir sagten spontan zu und erlebten einen echten Eintaucher in die lokale Kultur. Wieder einmal ein unbeschreibliches Erlebnis, und es nahm uns sogleich die leichten Berührungsängste mit den ach so kriminellen Bewohnern des Townships. Nach dem bierseligen Abend hatten wir am nächsten Tag mit demselben Guide eine TukTuk-Tour durch seine Heimat. Auch das war absolut beeindruckend und am Hector Petersen Memorial verdrückten sowohl Christina als auch ich ein paar Tränen. Die schlimmen Geschehnisse aus der nicht allzu fernen Vergangenheit am Ort des Geschehens vor Augen geführt zu bekommen, schüttelt einem so richtig durch. Wenn wir aus der Ferne die Diskussionen über «Probleme» in unserer Heimat mitbekommen, kommt einem vieles schon fast lächerlich kleinlich vor. Die Zeit in Soweto wird auf jeden Fall als eines der Highlights in meine Reiseerinnerungen an Südafrika Einzug halten. Auch Jo’burg (direkt in die City ging es anschliessend) selber kann als Entdeckung gewertet werden. Alle redeten von Kapstadt und Jo’burg wurde teilweise sogar als nicht besuchenswert bezeichnet. Unser Eindruck ist ein ganz anderer. Während Kapstadt zwar schön und landschaftlich beeindruckend ist, hat Jozi auf uns viel lebendiger und «echter» gewirkt. Kapstadt war absolut europäisch oder amerikanisch. Auch die Tiefe (ich weiss nicht, wie ich das sonst beschreiben soll) von Jo’burg ist nicht zu vergleichen mit dem etwas oberflächlichen Kapstadt. Nelson Mandela und Desmond Tutu mit ihren bemerkenswerten Friedensbemühungen können hierfür vielleicht als Beispiel dienen. Auf jeden Fall beeindruckt uns Jo’burg zurzeit enorm, und wir haben noch ein paar wichtige Sehenswürdigkeiten vor uns – morgen geht es ins Apartheid Museum! Es liegen wirklich emotionale Tage hinter uns… Neben all diesen spannenden Erlebnissen stand nämlich auch noch ein persönlicher Feiertag an – am 21. April vor genau einem Jahr ging unsere grosse Reise los. Wir sind jetzt also seit einem ganzen Jahr on the road. Wir zelebrierten den Abend in der schicken Fussgängerzone von Rosebank und machten uns einmal mehr bewusst, wie unglaublich dankbar wir für unser Leben sind. Es ist ein riesiges Privileg, und wir können unser Glück kaum fassen. Reisemüdigkeit macht sich auf jeden Fall bei keinem von uns bemerkbar, und wir freuen uns auf ein weiteres tolles Jahr!

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